Kraftort, Rethra & Wellness für die Bevölkerung

Der Tollense Lebenspark – Fragen an ein modernes Esoterik-Gesundheits-Projekt

Bei unserem Besuch im Tollense Lebenspark in Alt Rehse wurden wir an unterschiedlichsten Stellen mit der esoterischen Grundierung des Projektes konfrontiert. Insbesondere galt dies für die Angebote im Gesundheitsbereich.

Nun gibt es zwar zwischen dem Menschenbild der modernen Esoterik und der Nazi-Esoterik grundsätzliche Unterschiede, aber es gibt auch problematische Gemeinsamkeiten. An einem Ort, an dem der medizinische Massenmord und das eugenische und rassistische NS-Menschenbild durch ideologische Schulung und die Bildung sozialer Netzwerke vorbereitet und begleitet wurden, auf solche Zusammenhänge zu stoßen, löste Unbehagen aus. Die Frage, inwieweit an einem Ort wie Alt Rehse ein unkritischer Bezug auf Esoterik unverantwortlich ist, ist die eine Frage, die in diesem Text behandelt wird.

Vor Ort und im Internet war im Kontext des Tollense Lebensparks auch die Rede vom Chakra oder vom Kraftort, den schon die Slawen mit ihrem Heiligtum Rethra kannten und das hier in der Umgebung gelegen hätte. Diesen Kraftort hätten auch die Nazis zu nutzen gewusst und dadurch den Ort missbraucht. Aber durch das Kinderheim, das kurzfristig nach dem Krieg auf dem Gelände bestanden hat, wäre der Ort zumindest teilweise wieder geheilt worden. Diese Geschichtmythologie ist die zweite Frage, mit der sich dieser Text auseinandersetzen wird, da eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte und der NS Gesundheitspolitik, um daraus Schlussfolgerungen für die Politik heute zu ziehen, aus unserer Sicht dadurch unmöglich gemacht wird.

Zum Schluss versucht der Text dann noch relativ kurz, Denkansätze bzgl. des Zusammenhangs moderner Wellnes- und ›ganzheitlicher‹ Medizindiskurse, die auch im Tollense Lebenspark die Kursangebote bestimmten, mit der NS-Medizin aufzuzeigen.

Moderne Esoterik und NS-Esoterik

Die moderne Esoterik bewirbt sich selbst mit dem Versprechen, andere Wahrnehmungsebenen neben der rational-funktionalistischen zu erschließen. Esoterik behauptet, die Verkürzungen des naturwissenschaftlich-rationalen Weltbildes zu überwinden.

Dem stimmen wir nicht zu. Esoterische Theorien und Praxen zeichnet, ganz im Gegenteil zu dieser Selbstüberhöhung, gerade eine instrumentelle Logik aus. Letztere wird in der Esoterik mit spirituellen Versatzstücken verknüpft. Sie überträgt Teile des verkürzten naturwissenschaftlichen Denkens auf eine Art spirituelle Parallelwelt. Da ist von Feldern, Wellen und Kräften (Begriffe aus der Physik), vom Unbewussten (Begriff aus der Psychologie) u. a. die Rede. Typisch ist die Vermischung spiritueller Theorien mit Theoriefragmenten aus den modernen Wissenschaften (Physik, Psychologie, Biologie).[1] Die Begriffe dienen in den esoterischen Heilslehren nicht nur dazu, sich durch die Verwendung ›wissenschaftlicher‹ Argumentationen aufzuwerten, sondern sie versprechen die Möglichkeit einer instrumentellen Manipulierbarkeit des Spirituellen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Esoterik und Religion liegt in eben diesem Versprechen der Esoterik. Während in den großen Religionen, z. B. dem Christentum, Gottes Ratschluss unerforschlich bleibt und für die Gläubigen damit letztendlich im irdischen Leben keine andere Möglichkeit besteht, als sich Gottes Gnade anzuvertrauen, die aber auch durch noch so viel Beten nie sicher zu erlangen ist, bietet die Esoterik unterschiedlichste Techniken zur Manipulation des irdischen Schicksals an.

So kann ich z. B. mit der richtigen Tarotkartentechnologie in die Zukunft sehen, mit bestimmten rituellen Techniken mein Karma[2] reinigen (also eine Art Karmawaschmaschine) oder durch Kontakt mit der großen Mutter Weisheit und Ruhe erlangen, wenn ich die Techniken nur richtig durchführe und ausreichend Geld für Seminare ausgebe.

Dies wird vor allem dann problematisch, wenn es sich bei den Techniken zur Erlangung der Seeligkeit nicht um irgendwelche harmlosen Rituale sondern um real den Alltag bestimmende Praxen handelt, z. B. um Empfehlungen zur Lebensführung, zur Sexualität usw., die dann auf Grund der ›höheren‹ esoterischen Begründung einer kritischen Hinterfragung unzugänglich werden. Eine kritische Hinterfragung der gesellschaftlichen, materiellen, individualhistorischen und individualpsychologischen Ursachen für Ängste, Lüste, Hass und Bedrückungen bleibt aus.

Im Fall der modernen Esoterik führt dies im Extrem zu individuellen Katastrophen[3], da der Zielpunkt hier das Individuum ist.

In der NS-Esoterik wurden ebenfalls instrumentelle Vernunft und ›Wissenschaftsaussagen‹ der Zeit, insbesondere aus der ›Rassen‹biologie und Eugenik, mit spirituellen Aussagen verknüpft. So wurde die ›Rassenhygiene‹ zu einer Art spirituellem höheren Auftrag zum Schutz der ›Volksseele‹. Eugenik und biologischen Rassismus gab es auch in den USA und Großbritannien, aber nur in Deutschland wurde dies massenwirksam verknüpft durch das Konstrukt eines übergeordneten spirituellem Auftrages, der dann mit allen Mitteln der instrumentellen Vernunft umgesetzt wurde.

Der Unterschied zur modernen Esoterik lag vor allem darin, dass die NS-Esoterik nicht auf das Individuum und den Körper des einzelnen bezogen war, sondern auf ›das Volk‹ und den ›Volkskörper‹.

NS-Esoterik und moderne Esoterik stimmen außerdem in ihrem Verweis auf ein größeres Ganzes, auf eine Art natürlicher Ordnung überein. Zwar gibt es in den unterschiedlichen Ansätzen moderner Esoterik eine Vielzahl an differenten Vorstellungen über diese Ordnung, die Aufforderung an den Einzelnen, die natürliche Ordnung zu akzeptieren, bleibt aber auch in vielen modernen esoterischen Theorien zentral. Darauf bauen instrumentelle Scheinlösungen auf. Gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse bleiben in der Regel ausgeblendet oder werden extrem mechanistisch vereinfacht.

Ein typisches Beispiel für solche Vereinfachungen ist z. B. die Tipping-Methode der Radikalen Vergebung. Ein Seminar mit Collin Tipping wurde in den letzten Jahren auch schon im Tollense Lebenpark in Alt Rehse angeboten.

Die Tipping-Methode der Radikalen Vergebung wird auf der Internetseite der Exclusivvertretung Tipping-Methode in Deutschland beschrieben mit: »Radikale Vergebung ist weit mehr als herkömmliche Vergebung. Statt nur zu verzeihen und zu vergessen, zeigt sie uns, wie wir in unseren Widersachern unsere Lehrer und in unserer Wut die Energie zu unserer inneren Transformation und zum Ausstieg aus unserer Opferrolle finden können. Denn wirkliche Heilung beginnt erst mit der Bereitschaft, die Vollkommenheit in allem zu erkennen.«

An einem Ort wie Alt Rehse, an dem Mediziner für den medizinischen Massenmord ideologisch geschult und sozial vernetzt wurden, die Theorie zu verbreiten, dass Opfer in ihren Widersachern ihre Lehrer erkennen sollen, führt konsequent fortgedacht in den Zynismus.

Esoterische Geschichtsmythologie - Rethra, Kraftort und Naziemythos

Mit dem Bezug auf Rethra als mythischen Kraftort ergibt sich im Tollense Lebenspark auch ein explizit problematischer Bezug auf einen esoterischen Mythos, der auch für die Nazi-Esoterik wichtig war.

Rethra war ein slawisches Heiligtum, Zentrum des Lutizenbundes, das im Zuge der Christianisierung, wie alte christliche Quellen belegen[4], zerstört wurde, und irgendwo im heutigen Osten Deutschlands lag. In der antisemitischen rassistisch-völkischen Esoterik der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der Kampf um Rethra dann als Kulturkampf zwischen (Ost-)Germanen und dem ›christlich-jüdischen‹ Imperialismus umdefiniert. Den Nazivordenkern, für die Slawen ›Untermenschen‹ waren, ging es darum, den Kampf um Rethra als heldenhaften Abwehrkampf der Arier (=Germanen) für ihre Propaganda nutzbar zu machen. Die »Redarier«, die Bewohner Rethras, werden bis heute in rechtsradikalen Texten in Internetforen[5] als Ostgermanen bezeichnet. Rethra wurde so zu einem germanischen Heiligtum stilisiert, das als Zentrum der germanischen ›Hochkultur‹ lange dem Ansturm des ›christlich-jüdischen‹ Feindes standgehalten hätte.

Jörg Lanz von Liebenfels, einer der führenden Nazi-Esoteriker, der Teile dieses Mythos zu Beginn des 20. Jahrhunderts popularisierte[6], gilt als früher Stichwortgeber des jungen Adolf Hitler und der Thule-Gesellschaft[7] bezüglich der ›Rassentheorie‹. Rethra wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Archäologen an unterschiedlichen Orten gesucht. Eine der Vermutungen bezieht sich auf die Umgebung des Tollensesees. Eindeutige Belege konnten bisher nicht gefunden werden. Der Nazi-Esoteriker Lanz von Liebenfels verortete Rethra beispielsweise an anderer Stelle, auf der Hertesburg bei Prerow, die deshalb 1927 zum Presbyterium des Ordens des Neuen Tempels erhoben wurde. Dieser Orden stand in der Tradition der rassistischen und okkulten Lehren von Jörg Lanz von Liebenfels und der Ariosophie[8].

Versatzstücke solcher Mythen, die für die Naziesoterik wichtig waren, ohne kritischen Bezug in der modernen Esoterik zu finden, ist leider nicht ungewöhnlich.[9] An einem Ort wie Alt Rehse mit expliziter NS-Vergangenheit ist dies aus unserer Sicht ein unverantwortlicher Umgang mit Geschichte. Wer sich heute auf solche Mythen bezieht, ruft damit auch immer die stark popularisierten Teile dieser Mythen auf, die in der völkisch-rassistischen Lesart Teil dieser Mythen geworden sind.

Dabei ist Rethra für uns vor allem ein Beispiel, an dem sich der Umgang mit Geschichte von am Projekt Tollense Lebenspark Beteiligten illustrieren lässt. Statt einer kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte findet eine Geschichtsrezeption statt, die von Kraftquellen und Energiesystemen bestimmt ist. So schreibt Till Schulze-Geißler, zu der Zeit ein Bewohner des Lebensparks, auf der Internetseite des Radiaesthesievereins Deutschland e.V.[10] [11]:

»[...] Was die Nazis während ihrer Zeit auf dem Gelände neben der Propagierung von Rassenreinheit und Euthanasie getrieben haben, lässt sich nur erahnen. Zumindest erkannten sie die energetischen Qualitäten des Platzes, wie auch im 19 Jhdt. Freiherr von Hauff. [...] Der Geomant[12] Marko Pogacnik machte mit einer Seminargruppe neben vielen anderen Besonderheiten ein geschlossenes Chakrensystem aus, das sich vom See über den Park bis ins Dorf erstreckt und in einem gesunden Zustand einen Wirkradius von über 200 km habe. Hinweise gibt es einige darauf, dass an diesem Ort das mythische Rethra lag, das zentrale Heiligtum der Slawen. Doch leider erblüht derzeit das energetische System nicht in seiner vollen Kraft. Es muss Manipulationen gegeben haben und Spuren des Missbrauchs sind zu fühlen. Die Mächtigen der Geschichte werden sich nicht ohne Grund hier niedergelassen haben. Und dass die Nazis alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um ihr tausendjähriges Reich zu schaffen, ist hinlänglich bekannt.«

Dazu ist anzumerken, dass auch die Geomantie im Nationalsozialismus eine von Himmler und Heß geförderte Ideologie war, passte doch die Behauptung, Menschen und Völker würden durch die Orte, an denen sie leben, langfristig charakterlich geprägt, passgenau auf die NS-Rassenideologie und die Ideologie von Blut und Boden und diente zur Rechtfertigung der Ausmerzung von ›artfremder‹ Kultur und Menschen. Und bis heute suchen Nazi-EsoterikerInnen die ›alten Kraftorte‹ auf.

Auch Geomantieseminare an einem Ort mit der NS-Vergangenheit der ›Führerschule der Deutschen Ärzteschaft‹ zeugen für uns von einem fahrlässigen Umgang mit Geschichte.

Uns geht es dabei nicht darum, zu behaupten, dass die BetreiberInnen des Tollense Lebenspark durch ihren unkritischen Bezug auf moderne Esoterik und den Rethra-Mythos u. a. eine Anknüpfung an Nazi-Esoterik betreiben wollen oder dass die BetreiberInnen des Tollense Lebenspark an Verbindungen zur Naziszene interessiert wären, sondern um die in diesen Versatzstücken weiter wirksamen Teilstücke autoritärer Ideologie, die zum Teil zum Kernbestand dieser Mythen gehören und sie deshalb auch interessant für die Nazi-Ideologie machten. Es ist nach unser Ansicht unverantwortlich, heute noch einen unkritischen Bezug auf Mythen zu nehmen, ohne ihre Funktion für Nationalismus, Militarismus und Faschismus in der Geschichte und Gegenwart kritisch zu thematisieren.

Nach unserem Eindruck wird im Tollense Lebenspark kein rechtsradikales Gedankengut befürwortet. Unser Eindruck war, dass das Konzept des Tollense Lebensparks darin liegt, eine Art kommerzielles Wellness-Eso-Erholungszentrum aufzubauen. Dazu passt auch der Versuch, auf den Rethra-Mythos als eine Art Eigenmarke der Region zu rekurrieren.

Jeder Nazi-Bezug wäre hier in hohem Maß geschäftsschädigend. Das Interesse der BetreiberInnen des Tollense Lebensparks liegt sicher glaubhaft in einer klaren Distanzierung sowohl von rechtsextremer Ideologie als auch in der Distanzierung von jedweder Verbindung mit rechtsextremen Strukturen. Jede Verbindung dieser Art würde dem gesamten Marketingkonzept des Tollense Lebensparks zuwiderlaufen.

Der Tollense Lebenspark ist nach unserem Eindruck ein typisches Beispiel postmoderner Aufgriffe esoterischer Versatzstücke unterschiedlichster Kulturen, Weltanschauungen und Theorien, um aus diesem Zutaten einen Schein alternativer Lebenssinngebung zusammenzurühren, ohne dabei die neoliberale Gesellschaftsordnung und das Funktionieren der ›Sinnsuchenden‹ in ihr real in Frage zu stellen. Dabei wird in unkritischer Weise Bezug genommen auch auf Versatzstücke, die die Nazi-Esoterik popularisiert hat. Rethra und die Geomantie sind hier Beispiele. Das zentrale Problem liegt aber nicht in diesem Bezug, als vielmehr in den ideologischen Inhalten insgesamt und ihrer Vermittlung an einem Ort, der aufgrund seiner Geschichte im Nationalsozialismus ein Ort kritischen Nachdenkens sein sollte.

Wellness-Ideologie und die/der Kranke als DAS Problem

Nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands im zweiten Weltkrieg und dem Systemwechsel im Westteil hin zur Bundesrepublik wurde das sozialhygienische rassistische Konzept der NS-Medizin durch ein kuratives individuelles, auf die technische Bekämpfung der Krankheit bezogenes Medizinkonzept abgelöst. Damit war nicht mehr die/der Kranke das Problem, sondern der Fokus richtete sich auf die vom Kranken separierte Krankheit. Durchbrochen wurde dies erst wieder durch esoterische ›ganzheitliche‹ Medizinkonzepte und die modernisierten und individualisierten sozialhygienischen Diskurse, die sich im Umfeld der Auseinandersetzung mit AIDS seit Beginn der 1980er-Jahre entwickelt haben[13]. Inzwischen ist dies in einen allgemeinen Diskurs des medizinischen Selbstmanagements umgeschlagen, der sich sowohl in esoterischen Angeboten als auch in Broschüren der Krankenkassen findet.

Das sozialhygienische rassistische Konzept der NS-Medizin war ein Menschenrechtsverbrechen und ist nicht vom medizinischen Massenmord im Nationalsozialismus zu trennen. Es war die rassistische Zuspitzung des bereits in der Weimarer Republik dominanten sozialhygienischen medizinischen Diskurses, der den Fokus auf die obrigkeitsstaatliche Regulierung gesunden Verhaltens legte. In diesem autoritärem Zugriff und in der Biologisierung menschlichen Zusammenlebens war die NS-Medizin bereits angelegt.

Aber auch das auf die technische Bekämpfung der Krankheit bezogene Medizinkonzept der BRD war kritikwürdig, da es durch den technischen Blick auf die Krankheit die gesellschaftlichen Verhältnisse als Ursache vieler Erkrankungen aus dem Blick verlor und den einzelnen Menschen, in ihrer Besonderheit, nicht gerecht wurde.

Der Wellness- und moderne ›ganzheitliche‹ Gesundheitsdiskurs, der heute sowohl in der Esoterik als auch in der Mainstream-Medizin vertreten wird, wird dieser Kritik nur auch nicht gerecht. Auch hier werden gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse ausgeblendet, da der Blick allein auf die Einzelne/den Einzelnen gerichtet ist bzw. auf Kleinstrukturen (z. B. Familie). Und auch das Subjekt wird letztendlich verfehlt, denn das Subjektive ist nur im Kontext des Gesellschaftlichen begreifbar. Subjekte und Gesellschaft sind nicht auflösbar mit einander verschränkt. Ohne ein Begreifen der Gesellschaftsverhältnisse ist kein Begreifen des Subjektes möglich und ohne ein Begreifen der Subjekte keine Gesellschaftstheorie. Dies gilt besonders für die direkt die Einzelnen und die Gesellschaft betreffenden auf den Leib bezogenen Gesundheitsnormen, den Krankheitsbegriff und die Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Mit Einschränkungen kann der Wellness- und moderne ›ganzheitliche‹ Gesundheitsdiskurs insofern durchaus als Wiederaufgriff von Teilen sozialhygienisch rassistischer Konzepte begriffen werden, da er zwar die Engführung des technischen Blicks überwindet, aber gleichzeitig ähnlich den sozialhygienisch-rassistischen Konzepten die Gesellschaftsverhältnisse ausblendet. Im Gegensatz zur rassistischen Medizin wird Krankheit nicht mehr (primär[14]) individuell biologisiert, sondern auf individuelles Fehlverhalten zurückgeführt. Statt auf eine obrigkeitsstaatlich-rassistische ›Sozialhygiene‹ wird nun der Fokus auf die individualisierte Optimierung des gesundheitlichen Selbstmanagements gelegt. So findet sich in der Wellness- und ›ganzheitlichen‹ modernen Gesundheitsideologie nicht zufällig an vielen Stellen eine alt bekannte Denkungsart wieder – Mens sana in corpore sano (= Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper).

Vielen esoterischen Konzepten ebenso wie aktuellen Broschüren der Krankenkassen liegt die Idee zugrunde, Körper, Lebensweise und Geist/Seele als Zusammenhang zu begreifen und Heilungs-/Erziehungsmaßnahmen auf allen Ebenen durchzuführen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden dabei aber in der Regel ausgeblendet.[15] Krankheit wird nicht selten als Ausfluss eines sich falsch verhaltenden Subjektes begriffen und zum nicht unbeträchtlichen Teil auf eine schlechte, krankmachende Geisteshaltung bzw. seelische und psychische Probleme zurückgeführt. Von hier ist es nicht weit zu Konzepten, die im Kranken selbst das Problem sehen. In der NS-Medizin wurde dies biologisiert und bis zur Beseitigung/Ermordung der Kranken weitergeführt. Aber auch der modernen Wellness- und ganzheitlichen Gesundheitsideologie ist die Ausgrenzung der Kranken inhärent. Dies gilt für ein öffentliches Gesundheitssystem, das zunehmend Kranke zum Problem erklärt statt die Krankheit, und auch für eine Esoterik, die Krankheit zum selbstverschuldeten Schicksal erklärt, aus dem frau/mann sich nur befreien müsse.

Dieses Denken an einem Ort wie Alt Rehse zumindest teils vorzufinden, erschreckte uns vielleicht am meisten. Dies wäre aber wohl auch bei einer postmodernen Wellness-Klinik, die krankenkassennahe medizinische Angebote verkaufen würde, nicht anders als bei den esoterischen Angeboten des Tollense Lebensparks.

Schluss

Um die Biopolitik[16] des Nationalsozialismus, die in der NS-Medizin ihren Ausdruck fand und in der Führerschule der Deutschen Ärzteschaft in Alt Rehse vermittelt wurde, zu begreifen, ist ein kritischer Umgang mit Geschichte und Ideologien notwendig. Geschichte wird nicht von Kraftfeldern gemacht, sondern von Interessen bestimmt. Und auch individuell ist es notwendig, Herrschaftsverhältnisse und die eigene Involviertheit in Herrschaftsstrukturen zu hinterfragen, damit etwas Vergleichbares wie der Nationalsozialismus nicht wieder geschieht. Dazu gehört auch, die Diskurse der Medizin kritisch im Blick zu behalten. Esoterisch-psychologische Bekenntnis-, Autoritäts- und Wohlfühlrituale helfen hier nicht, im Gegenteil – sie waren in einer entindividualisierten Massenform auch Teil der Herrschaftspraxis im NS.

 

Anmerkungen

[1] Dies gilt z. B. für die Theorie morphischer Felder, für Friedjof Capra oder für mathematische  Versatzstücke in der Geomantie und Astrologie.

[2] »Karma bezeichnet ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich eine Folge hat. Diese muss nicht unbedingt im aktuellen Leben wirksam werden, sondern kann sich möglicherweise erst in einem der nächsten Leben manifestieren.« http://de.wikipedia.org/wiki/Karma (Stand 17.3.10)

[3] Die Verwendung der Familienaufstellung als öffentlicher Zurschaustellung (Bloßstellung) führte z. B. bereits in einem Fall zum Selbstmord. Aber auch andere Praxen können bei Menschen mit ernsthaften psychischen Problemen (z. B. sexuellen Gewalterfahrungen) erheblich dazu beitragen, diese zu verschlimmern. In der Regel führen diese Verfahren aber ›nur‹ dazu, dass die realen Ursachen von Problemen nicht angegangen werden. Dies mag auch in vielen Fällen gerade der Grund sein, aus dem solche Praxen nachgefragt werden. Da hier Scheinlösungen angeboten werden, ohne dass von den Einzelnen reale tiefgreifende Handlungskonsequenzen gefordert werden, die die Nachfragenden vermutlich auch gerade vermeiden wollen.

[4] Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburgs.

[5] Z. B. http://aufbruch.foren-city.de/topic,548,-slawenlegende.html, »Sozialistisches Forum, politisch-philosophische Plattform« (Stand 28.12.2009)

[6] Jörg Lanz von Liebenfels: Das wiederentdeckte Vineta-Rethra und die arisch-christliche Urreligion der Elektrizität und Rasse, Hertesburg-Versand, 1934

[7] »Die Thule-Gesellschaft war eine antisemitische und völkisch orientierte Organisation, die kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs im August 1918 in München von Rudolf von Sebottendorf gegründet wurde und in ihrer stärksten Phase um 1919 rund 200 Mitglieder hatte. […] Da führende Mitglieder bzw. Gäste der Thule-Gesellschaft in der NSDAP wieder auftauchen, konnten auch Teile der Ideen der Thule-Gesellschaft mit zum Bestandteil der NSDAP werden. Zu diesen Personen wurden neben dem späteren NS-Chefideologen Alfred Rosenberg unter anderem Julius Streicher (später Herausgeber des Blattes Der Stürmer und fränkischer Gauleiter), Hans Frank (späterer Generalgouverneur von Polen) und Rudolf Heß (späterer Stellvertreter Hitlers) gezählt. DAP-Mitgründer Anton Drexler war es auch, der Hitler zur Verwendung des Hakenkreuzes als Zeichen der NSDAP anregte.«  http://de.wikipedia.org/wiki/Thule-Gesellschaft (Stand 10.1.2010)

[8] »Die Ariosophie entstand um die Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jahrhundert in Wien als Verbindung von völkischem Nationalismus und Rassismus mit okkulten Begriffen aus der Theosophie Helena Petrovna Blavatskys.« http://de.wikipedia.org/wiki/Ariosophie (Stand 10.1.2010)

[9] Dies gilt z. B. auch für die Mythenproduktion um die Externsteine.

[10] Im Artikel schreibt der Autor auch, dass er zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2008 im Lebenspark wohnt, dort seine Praxis hat, und in seiner Funktion als Radiaesthet, Heilpraktiker und Coach die Gemeinschaft im Lebenspark begleitet und betreut,  http://www.rvdev.de/index.php/component/content/article/1-latest-news/100-heilkunde-einladung - (Stand 14.10.2009)

[11] »Radiästhesie (auch Radioästhesie, lat. radius, ›Strahl‹, griech. aisthanomai, ›empfinden‹) ist die Lehre von sogenannten Strahlenwirkungen auf Organismen. Die Untersuchung der Strahlen und deren Auswirkungen geschieht mittels einer paranormalen Strahlenfühligkeit bzw. Strahlenempfindlichkeit, die feinfühlige Menschen nach Annahme ihrer Anhänger besitzen sollen. Die dabei postulierten Strahlungen sind ebenso wenig nachgewiesen wie deren Wahrnehmung durch Lebewesen. Die Radiästhesie wird, wo sie wissenschaftlichen Anspruch erhebt, den Parawissenschaften[1] oder Pseudowissenschaften[2] zugeordnet. Abzugrenzen ist die Radiästhesie von der belegten und messbaren Wirkung ionisierender und teilweise auch nichtionisierender Strahlung auf Organismen.«  http://de.wikipedia.org/wiki/Radi%C3%A4sthesie (Stand 17.3.2010)

[12] »Die heutige europäische Geomantie ist eine unwissenschaftliche esoterische Lehre, die sich selbst als ›ganzheitliche‹ Erfahrungswissenschaft versteht und versucht, die Identität eines Lebensraumes, eines Ortes oder einer Landschaft zu erfassen und diese durch Gestaltung, Kunst oder Raum- und Landschaftsplanung zu berücksichtigen und individuellen Ausdruck zu verleihen. Geomantie sei das Erkennen und Erspüren von guten Plätzen in Raum und Landschaft und damit die Grundlage für ein harmonisches und gesundes Wohnen und Leben. Die Aufgabe eines Geomanten bestehe darin, ›baubiologisches Wissen‹ mit der geomantischen Kunst zu vereinen, Räume zu gestalten, den guten Ort zu erkennen und zu erspüren und mit den Menschen in Einklang zu bringen.«  http://de.wikipedia.org/wiki/Geomantie (Stand 17.3.2010)

[13] Raimund Geene: AIDS-POLITIK, ein neues Krankheitsbild zwischen Medizin, Politik und Gesundheitsförderung, http://www.aids-politik.de/aids-politik.pdf (Stand 10.1.2010)

[14] Durch die Genetisierung findet teilweise auch wieder eine Biologisierung statt. Da aber die Tendenz ist, praktisch alle Menschen zu Trägern unterschiedlicher genetischer Risiken zu erklären, wird dies ›nur noch‹ als Handlungsanweisung für risikogerechtes Verhalten benutzt, um so den Diskurs der ›Pflicht‹ zur medizinischen individualisierten Selbstoptimierung, des medizinischen Selbstmanagement, zu unterstützen.

[15] Die Gesellschaftsverhältnisse erscheinen als zweite Natur unveränderbar.

[16] Wir verwenden den Begriff Biopolitik im Sinne des französischen Philosophen Michel Foucault als Begriff für die Politik, die auf den Körper der Einzelnen und auf den Bevölkerungskörper gerichtet ist.